Sonntag, 13. September 2009

Die Knäste der Stasi-Teil 3- Rostock

In den 60er Jahren wurde in Rostock ein menschenverachtendes Stasi-Gefängnis in Betrieb genommen. Tausende Regimekritiker wurden hier inhaftiert, in Einzelzellen mit blinden Glasbausteinen anstelle von Gittern. Ausgang gab es nur in den sogenannten "Tigerkäfigen".

Die speziell für politische Häftlinge ausgerichtete Untersuchungshaftanstalt wurde in den 50er Jahren als DDR-weit erste ihrer Art geplant, gebaut und im Herbst 1960 in Betrieb genommen. Drei Zellenetagen mit offiziell 110 Häftlingsplätzen standen in direkter Verbindung zu den Vernehmungsräumen in der benachbarten Stasi-Bezirkszentrale, die zum Neubaukomplex gehörte. Die Einzelzellen in dem Stasi-Knast waren 7,5 Quadratmeter groß. Anstelle von Fenstern wurden blinde Glasbausteine eingebaut. Die Häftlinge sollten nicht sehen können, wo sie sich befinden. Im Keller des Gebäudes gab es vier Dunkelzellen, die nicht mehr im Originalzustand erhalten sind. Zum Freigang wurden die Häftlinge in sogenannte "Tigerkäfige“ geführt. Für Außenstehende bestand keine Möglichkeit, den Innenhof einzusehen. In den umliegenden Häusern wohnten Stasi-Mitarbeiter.

Tausende Regimegegner der DDR machten in dem Untersuchungsgefängnis bittere Erfahrungen mit den Schergen der SED-Diktatur. Die Gründe für quälende Verhöre, Gewaltanwendung und Gefangenschaft waren staatsfeindliche Äußerungen oder Fluchtversuche. So war die 1948 geborene, heute als Reiseschriftstellerin bekannte Carmen Rohrbach nach ihrer todesmutigen und schließlich missglückten Flucht mit einem Schlauchboot über die Ostsee 1974 dort inhaftiert. In Rostock fanden ihre ersten Vernehmungen statt, ehe sie für zwei Jahre in das berüchtigte Frauengefängnis Hoheneck verfrachtet wurde. Sie wurde später von der Bundesrepublik Deutschland freigekauft. Rohrbach war erschüttert "über die menschenverachtenden Haftbedingungen, die ich im 20. Jahrhundert in einem europäischen Land so nicht vermutet hätte“, wie sie wiederholt bekundet hat.

Am 4. Dezember 1989 kam mit der Wende das Ende des Rostocker Stasi-Objektes, als Bürgerrechtler vor dem Gebäude "Mahnwachen gegen die Vernichtung von Beweismitteln“ errichteten und Einlass erzwangen. Gemeinsam mit der Polizei nahmen damals Bürgerkomitees die Stasi-Bezirkszentrale unter Kontrolle. Im März übernahm der Rostocker Pastor und spätere Bundesbeauftragte für die Stasi-Unterlagen, der Volkskammer-Abgeordnete Joachim Gauck, die Leitung des Sonderausschusses zur Kontrolle der Auflösung des MfS.

(Bilder: Netzseite Gedenkstätte Rostock)



Zelle im Stasi Knast Rostock.













Gänge im Stasi Knast.















Zellentrakt.








Stasi Opfer May-Britt Krüger: Schmerzliche Erinnerungen an den Stasiknast


Das Erste, was May-Britt Krüger beim Betreten des ehemaligen Stasi-Untersuchungsgefängnisses in Rostock auffällt, ist der Geruch. "Das riecht noch genauso muffig wie früher." Früher, das war vor 20 Jahren, als Krüger eine der letzten Insassen der Haftanstalt war, bevor die friedliche Revolution dem DDR-Regime ein Ende machte. Im Sommer 1989 war die damals 23-Jährige zusammen mit ihrem Vater und einem befreundeten Pärchen in Richtung Ungarn aufgebrochen. Die Freunde wollten in den Westen fliehen, Krüger wusste davon. Kurz hinter Rostock wurden die Vier gestoppt. Es begann eine dreimonatige Leidenszeit aus Isolation, Überwachung und Verhören. Das ehemalige Gefängnis ist heute eine Dokumentations- und Gedenkstätte. Wo zwischen 1960 und 1989 fast 5000 Männer, Frauen und Jugendliche einsaßen, informieren sich heute pro Jahr rund 14 000 Interessierte über die Geschichte der Anstalt. "Der jüngste Häftling war gerade einmal 14 Jahre alt", sagt der Mitarbeiter der Gedenkstätte, Volker Höffer. Staatsfeindliche Hetze war einer der häufigsten Vorwürfe gegen die Inhaftierten. May-Britt Krüger erinnert sich noch gut an die erste Nacht nach ihrer Verhaftung. "Ich saß in der engen Zelle und habe geweint. Wenn ich mich in die Ecke gesetzt habe, wurde ich gleich ermahnt, da die Ecke von den Wachen durch den Türspion nicht einsehbar war." Am nächsten Tag wurde ihr dann zunächst die Anklage verlesen: Bandenbildung, Mitwisserschaft und versuchte Republikflucht, drohendes Strafmaß bis zu acht Jahre. "Am Abend wurde ich dann zum ersten Mal verhört, der Vernehmer hat mich nur angebrüllt."

Der nächste Vernehmer versuchte es auf die sanfte Tour, erinnert sich Krüger. "Dem musste ich mein ganzes Leben erzählen und er versuchte immer, mir die Vorzüge der DDR zu erklären und was wohl in meinem Elternhaus schiefgelaufen sein musste." Insgesamt 26 Mal wird Krüger verhört. "Aber ich konnte denen gar nicht sagen, was sie hören wollten, weil ich selber nicht wusste, ob ich in Ungarn abgehauen wäre." Als dann auch in Rostock mit der ersten Demonstration die friedliche Revolution begann, konnte Krüger in ihrer Zelle Rufe hören wie "Stasi in die Produktion". "Bei der nächsten Demo ließ die Stasi dann im Innenhof Motoren von Lastwagen laufen, so konnten wir nichts mehr hören." Ob sich die Einsatzkräfte bereithielten, um die Demonstration gewaltsam aufzulösen, lässt sich heute laut Höffer nicht mehr rekonstruieren. Als Krüger dann Ende Oktober im Rahmen der Amnestie für politische Häftlinge entlassen wurde, hätten sie ihre Peiniger noch gewarnt: "Wenn Sie an einer Demonstration teilnehmen, sind Sie schneller wieder hier, als Sie gucken können." So weit kam es dann nicht, die Geschichte verlief anders. Doch die Frau hörte noch jahrelang nachts das Knarren von Stiefelsohlen auf dem Gang, das Geräusch, wenn die Klappe vor dem Türspion weggeschoben wurde oder das Klirren des Schlüsselbundes, der sich im Schloss ihrer Zelle drehte. "Noch heute bekomme ich eine Gänsehaut, wenn jemand einen Schlüsselbund auf den Tisch wirft." Höffer kennt diese Traumatisierungen von vielen ehemaligen Insassen: "Bei vielen hat sich das Geräusch des Schlüssels oder des Türriegels eingebrannt." Viele erinnerten sich auch an ihre Art, mit der Isolation umzugehen. "Einige haben im Stillen Gedichte rezitiert, ein Mathematiker berichtete, er habe immer mathematische Formeln rekonstruiert."

Der Umgang mit den Tätern von damals sei für viele Gefangene heute noch schwierig, weiß Höffer. Die meisten Vernehmer und Aufseher entzögen sich ohnehin der Aufarbeitung. Höffer erinnert sich an eine Begegnung bei der Eröffnung der Gedenkstätte 1999. "Ein ehemaliger Häftling wollte sich noch einmal seine Zelle ansehen und stand dort auf einmal seinem Vernehmer gegenüber, der ihn grüßte wie einen alten Bekannten. Das war zu viel für den Mann, der wie zur Salzsäule erstarrte." Als Krüger ihrem damaligen Vernehmer nach der Wende das erste Mal wiedersah, sei sie zu ihm gelaufen und habe 'Du Vernehmerschwein' gerufen. "Aber wenn ich ihm jetzt begegne, habe ich für mich den Triumph, dass ich heute über das Erlebte reden kann und ihm so zeige, dass er mich nicht gebrochen hat."



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