Sonntag, 20. September 2009

Der letzte Gefangene der Stasi




Uwe Hädrich gehörte zu den höchsten Wirtschaftsfunktionären der DDR. Bis zum September 1989. Da wurde er zum politischen Gefangenen und saß auch dann noch in Stasi-Haft, als die Mauer längst gefallen war und es das Ministerium für Staatssicherheit (MfS) gar nicht mehr gab. Das ist bald 20 Jahre her. Mehr als 7500 Seiten stark ist Hädrichs Stasi-Akte in der Gauck-Behörde. Es ist eine Geschichte, die ahnen lässt, wie perfekt das System der Stasi mit Bespitzelung, Isolation und dem Bruch aller Menschenrechte dafür sorgte, dass denjenigen, die die DDR zu ihren Gegnern erklärt hatte, wirklich keine Chance blieb. Uwe Hädrich erscheint alles so, als sei es gestern geschehen. Es zittert seine Stimme, es zittern seine Hände, als er in einem Hotel in Berlin-Prenzlauer Berg von seinem Fluchtversuch aus der DDR und dem anschließenden Martyrium im streng geheimen MfS-Gefängnis in Hohenschönhausen berichtet.

Vielleicht war es eine Art Widerstands-Gen, das in der Familie Hädrich weitergegeben wurde und dazu führte, dass er trotz aller seiner Privilegien das Leben in der DDR irgendwann nicht mehr ertragen konnte. Uwe Hädrichs Schwiegervater Robert Havlik, ein Metzger aus dem Sudetenland, hatte im Konzentrationslager Dachau in den vierziger Jahren den Sozialdemokraten Kurt Schumacher kennengelernt. Zehn Jahre später, er war inzwischen Volkspolizist der DDR, sagte Havlik an einem Stammtisch und in bitterer Bier-Laune: „Kurt Schumacher ist der einzige wirkliche Arbeiterführer, Pieck und Grotewohl sind es nicht.“ Die Stasi hörte mit, und Uwe Hädrichs Schwiegervater wurde wegen dieses einen Satzes zu drei Jahren Zuchthaus verurteilt. Das war 1955. 26 Jahre später ist Uwe Hädrich ganz oben im System der DDR angekommen, als stellvertretender Generaldirektor des volkseigenen Einzelhandels HO. Derselbe Staat, der seinen Schwiegervater so unmenschlich verfolgt hatte, verschaffte ihm eine Bilderbuchkarriere, inklusive Abitur, Studium und Aufstieg. Er, der Sohn einer verwitweten Verkäuferin, war nun Chef eines Unternehmens mit 213000 Mitarbeitern. Er hatte alles, was dieser Staat seinen Musterbürgern bot: eine moderne Wohnung in Berlin-Marzahn, ein Auto und die Reiseerlaubnis in das sozialistische Ausland. Er hatte auch eine glückliche Ehe und zwei „schöne Kinder“, wie er sagt. Andere hätten es dabei belassen.

Betrug am ganzen Volk

Nicht so Uwe Hädrich. Er war mit der Tochter des Mannes verheiratet, der in der DDR für einen Satz über Schumacher drei Jahre ins Zuchthaus gewandert war. Irgendwo ganz tief in seinem Herzen hegte er ein tiefes Misstrauen gegen diesen Staat. Als Hädrichs im Jahr 1975 den Text der KSZE-Schlussakte im Neuen Deutschland lasen, fiel ihnen auf, dass dort alle Staaten, die der KSZE, dem neuen europäischen Menschenrechtspakt, beigetreten waren, ihren Bürgern Reisefreiheit und die freie Wahl des Wohnortes zusicherten. Auch die DDR war der KSZE beigetreten

Der Gedanke an die Reisefreiheit und die freie Wahl des Wohnortes ließ das Ehepaar seitdem nicht mehr los. Als die DDR schließlich ihren Bürgern erlaubte, nahe Verwandte in Westdeutschland zu hohen Familienfesten zu besuchen, fuhr Frau Hädrich zur Verwandtschaft nach Bayern. Was sie dort sah, gab schließlich den Ausschlag. Denn nichts war so, wie die DDR-Propaganda ihren Bürgern glauben machen wollte: Niemand war arbeitslos, alle hatten Geld, und viele hatten Häuser und eine perfekte Krankenkasse. In den Geschäften gab es alles, vieles zu erschwinglichen Preisen. Man konnte lesen, was man wollte, und sagen, was man dachte. „Da wussten wir“, sagt Uwe Hädrich, „dass wir vom Staat DDR in einer Art und Weise beschissen worden waren, wie man es sich schlimmer nicht vorstellen konnte.“ Er blickt auf, und in seinen Augen steht immer noch das Entsetzen über diesen Betrug an einem ganzen Volk.

Von Leuchtspurmunition gestoppt

Am 1.Mai 1989 ist es so weit. Die Familie hat sich eine „ganz normale Urlaubsreise ans Schwarze Meer“ genehmigen lassen, zuvor per Briefwahl noch ganz korrekt SED gewählt, steigt in ihren Wartburg und fährt in Ungarn direkt auf die Grenze zu. Es ist dunkel, Leuchtspurmunition stoppt die Hädrichs. Grenzer verhören sie, glauben ihnen aber, dass sie sich nur verfahren haben und schickten sie einfach zurück. Die Familie steigt in Budapest ab, und aus einer Telefonzelle ruft Uwe Hädrich die Deutsche Botschaft in der ungarischen Hauptstadt an: „Ich bin ein hoher Wirtschaftsfunktionär der DDR und möchte mit Ihnen reden…“ Die Familie wird empfangen und hätte nun in der Botschaft bleiben können, die Ausreise in den Westen allerdings kann man ihr damals nicht garantieren. Ein Leben auf dem Botschaftsgelände, Zukunft ungewiss? Das wollte die Familie nicht. Also wurde der Wartburg wieder angelassen, und zurück ging es nach Berlin.

Quelle:focus.online


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