Freitag, 2. Oktober 2009

Menschen gegen Devisen - Stasi-Knast Chemnitz-Kaßberg






Chemnitz. Die Untersuchungshaftanstalt des Ministeriums für Staatssicherheit in Karl-Marx-Stadt am 21. Mai 1986: Kurz nach 13 Uhr öffnet sich ein Tor an der Rückseite zur Kaßbergstraße. Zwei westdeutsche Reisebusse mit DDR-Kennzeichen rollen vom Gefängnishof. Ihr Ziel: die Grenzübergangsstelle Wartha bei Eisenach. Drei Stunden später wird der Busfahrer im Niemandsland auf einen Knopf drücken: Wie im Agentenfilm klappt das DDR-Nummernschild um und ein westdeutsches Kennzeichen kommt zum Vorschein - der Weg in den Westen ist frei.


Es ist eine geheime Fahrt - und doch bleibt sie in Karl-Marx-Stadt nicht unbeobachtet. An der Kreuzung Leipziger Straße/Limbacher Straße, so notiert ein Stasi-Hauptmann seine Beobachtung, warten gegen 13.15 Uhr ein Mann und eine Frau. Als die Ampel auf rot springt, stürzt der Mann auf die Straße, beide winken den Businsassen zu. Dann hat die junge Frau jemanden im Bus entdeckt. Sie rudert mit den Armen und ruft: "Da ist meine Schwester." Was die beiden jungen Leute an diesem Maitag 1986 beobachten, ist zu diesem Zeitpunkt längst Routine geworden. Die DDR verkauft ihre Bevölkerung an den Westen. Politische Häftlinge gegen Devisen - seit 1963 geht das so. Und ab 1964 ist das Stasi-Gefängnis in Karl-Marx-Stadt die zentrale Drehscheibe - offenbar wegen der günstigen Lage. Für jeden DDR-Regimegegner, der auf der Freikaufliste gelandet ist, wird der Kaßberg zur letzten Station auf dem Weg in die Freiheit. Heute, 20 Jahre nach dem Mauerfall scheint dieses Kapitel in der Geschichte des Hauses weitgehend vergessen. Die Aktenlage ist dürftig, eine umfassende Dokumentation gibt es nicht .

Abgeschottet vom MdI - Die Stasi als Staat im Staate


Die Justizvollzugsanstalt auf dem Kaßberg im Jahr 2009. Regierungsoberrätin Susanne Schmelcher und der Sicherheitsbeamte Thomas Wolf schließen den Journalisten die Türen auf. Durch eine Sicherheitsschleuse und Korridore geht es von der früheren Haftanstalt des DDR-Ministeriums des Inneren (MdI) in den Zwischenhof mit dem MfS-Komplex. "Die beiden Bereiche waren hermetisch voneinander getrennt", erinnert sich Thomas Wolf. Der 42-Jährige hatte 1987 im MdI-Gefängnis seinen Dienst begonnen. Als die Wende kam, mussten er und seine Kollegen den MfS-Bereich sichern. "Wir sind mit Ehrfurcht durch die Gänge geschlichen. Das war ja bis dahin so geheim, man durfte nie etwas damit zu tun haben", berichtet Wolf. Die Stasi war der Staat im StaateDie einstige Abteilung XIV der MfS-Bezirksverwaltung ist ein wuchtiger, grauer Bau - von außen viel alte Substanz, von innen teils funktional saniert. In dem für "Sonderaufgaben" bestimmten Verwahrtrakt B waren die Freikauf-Häftlinge untergebracht. "Vogelkäfig" wurde der Flügel in Anspielung an den Rechtsanwalt Wolfgang Vogel genannt, der die Geschäfte im Auftrag der DDR-Regierung abwickelte.Besonders in den 80er Jahren florierte der Menschenhandel zwischen Ost und West - die bankrotte DDR zog bei der Devisenbeschaffung alle Register. Und die Stasi bekam sogar logistische Probleme. In einem Bericht vom Mai 1986 wird etwa über Schwierigkeiten geklagt, die Anlieferungszeiten in Karl-Marx-Stadt einzuhalten. Die Termine würden immer kurzfristiger, Dokumente seien nicht rechtzeitig zu beschaffen. Hinzu kamen, das zeigen Akten der Birthler-Behörde, kuriose "Sonderfahrten" wie im Mai 1986, als ein für den Freikauf bestimmter Häftling von Karl-Marx-Stadt zur Scheidung seiner Ehe nach Wolgast geschickt wird. Die Hektik ist so groß, dass die Stasi erst beim Zwischenstopp in Berlin bemerkt: Der Häftling muss zum Prozess gar nicht anwesend sein. Im Ergebnis notiert ein MfS-Protokollant: "Vier Mitarbeiter vergeuden unnötig einen Arbeitstag und Treibstoff für ca. 600 Kilometer."Die U-Haft war einst der größte Bereich im Stasi-Knast auf dem Kaßberg. Dort sind bis heute Relikte der Vergangenheit geblieben. Vor dem Gefängnisladen, wo sich jetzt Häftlinge mit Brause und Süßigkeiten eindecken, führen vier graue Türen in Kammern von der Größe eines Besenschranks. Weniger als ein Quadratmeter blieb Neuankömmlingen in den Stehzellen vor der ersten Vernehmung. Auch einige Wohnzellen, die heute nicht mehr belegt sind, enthalten noch Original-Inventar: Waschbecken, Plastik-Wasserhahn und Kloschüssel made in GDR. Nur die obligatorischen Glasbausteine, die einst jeden Blick ins Freie verhinderten, wurden ausgebaut.Der Rundgang endet auf dem Hinterhof. Dort spielen Häftlinge Volleyball auf einem modernen Tartanplatz. Vor 20 Jahren sah es dort anders aus: acht Freiboxen aus grauen Mauern, in der Mitte ein Postenturm. In der mit Maschendraht überdachten Anlage, den so genannten "Schweinebuchten", hatten die Inhaftierten ihre tägliche Stunde Freigang zu absolvieren. "Man hätte das alles mal dokumentieren sollen", sagt Sicherheitsmann Wolf. Und Regierungsoberrätin Schmelcher stellt nüchtern fest: "Hier interessiert sich niemand dafür."Alter Arbeitsplatz vor dem Haus: "Das Kapitel ist abgeschlossen" Einer, der erzählen könnte, lebt bis heute nur einen Steinwurf von seinem einstigen Arbeitsplatz entfernt. Wenn Helmut Klinger, MfS-Major a. D., aus einem Küchenfenster schaut, hat er die JVA Kaßberg direkt vor sich. Drinnen war er, wie er sagt, seit der Wende nicht mehr. "Ich wollte mir immer mal anschauen, wie's heute aussieht", berichtet der 82-Jährige. Aber dann hielt ihn doch irgendetwas ab. "Das Kapitel ist für mich abgeschlossen", sagt er.In der 80er Jahren war Klinger stellvertretender Leiter der Stasi-U-Haftanstalt. Er habe für ordentliche Abläufe im Haus gesorgt, fasst er seine Tätigkeit zusammen. Dazu gehörte etwa, dass Räuchermänner und Nussknacker, die ein rund 40-köpfiges Arbeitskommando aus Strafgefangenen fertigte, ordnungsgemäß geliefert wurden. Von den Menschen in den Bussen will er kaum etwas mitbekommen haben: "Das haben alles die Genossen aus Berlin gemacht." Rückblickend rechtfertigt sich Klinger, er habe nach der Nazi-Zeit mithelfen wollen, dass sich so etwas nicht wiederhole. Und schließlich hätten diejenigen, die bei der Stasi in Haft saßen, gegen Gesetze verstoßen. "Wer die Staatsgrenze verletzte, wusste dass das strafbar war."Sabine Popp hatte sich im Sinne der DDR-Gesetze strafbar gemacht. Als Schülerin pinselte sie Ende der 70er Jahre staatskritische Losungen wie "Klassenauftrag Wiedervereinigung und "Mauer weg" auf Straßen und an Mauern im Vogtland. Nachdem sie ein Schulkamerad in Reichenbach verpfiff, wurde sie zu fünf Jahren Haft verurteilt und nach zwei Jahren und drei Monaten freigekauft. Die letzten Tage im "Vogelkäfig" hat sie heute weitgehend aus ihrem Gedächtnis gelöscht - "weil ich eigentlich nicht weg wollte". Dennoch ist Sabine Popp, die heute wieder im Vogtland lebt, rückblickend über jede Minute im Westen dankbar. "Wer weiß, was die in der DDR mit mir noch gemacht hätten."Von Oliver HachStichwort Kaßberg-Gefängnis Das Gefängnis auf dem Kaßberg wurde 1886 als Königlich-Sächsische Gefangenenanstalt errichtet. Sie bestand aus dem Rund- und Verwaltungsbau mit den Flügeln A bis C. Nach dem Zweiten Weltkrieg zog die sowjetische Militäradministration ein, später wurde daraus die Untersuchungshaftanstalt der MfS-Bezirksverwaltung Karl-Marx-Stadt. Dort saßen nach Angaben der Forschungs- und Gedenkstätte Normannenstraße in den 80er Jahren bis zu 700 Häftlinge ein. Hinzu kamen 300 weitere im Haus D. Das wurde erst nach dem Zweiten Weltkrieg fertig gestellt und unterstand dem DDR-Ministerium des Innern (MdI). Heute sitzen in der JVA Kaßberg bis zu 200 Straf- und Untersuchungshäftlinge ein. (oha)


13 Kommentare:

  1. Fred_wehrmann@web.de12. November 2009 um 09:47

    Mein Kommentar zu dieser Einrichtung : Ich war von Juni 1980 bis Dezember 1980 als U-Häftling auch anwesend. Zugeführt vom MfS aus Plauen.Im Januar 1981 ging es ab nach Brandenburg in die STVE Brandenburg.Mitte Juli 1982 der Tag, an dem es mit einem W-50 LKW wieder Richtung Karl-Marx-Stadt ging. Nach dem Gespräch mit Dr. Vogel war alles klar.

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  2. Dieser Kommentar wurde vom Autor entfernt.

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  3. Sie können ihre persönliche Geschichte gerne als Kommentar auf dieser Seite hinterlassen, wir veröffentlichen sie dann auf Wunsch natürlich auch anonym.

    mfg

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  4. Eine Geschichte, eigentlich zum Lachen, wenn die Hintergründe nicht so traurig wären!
    Am 25. November 1984 kam ich aus Cottbus auf den Kasberg um für den Versand aufbereitet zu werden. Meine Frau kam aus Hoheneck. Am 19.12.1984 konnten wir endlich in den Bus steigen.
    Zuvor durfte ich noch von dem wenigen, im Knast verdienten, Geld einkaufen. Socken und Unterwäsche, schließlich nahmen wir nur mit, was wir auf dem Leib trugen. Auch nicht mehr ganz modisch, denn die Sachen trug ich bei meiner Verhaftung. Sie verhüllten jetzt noch 63kg im Gegensatz zu 82kg bei Antritt. Sie umflossen praktisch meinen Körper. Doch da ich nicht so modebewusst bin und dafür mein Geld ohnehin nicht gereicht hätte, entschloss ich mich also für das unbedingt notwendige!
    "Tasche?"
    Hatte ich keine!
    "Ohne Tasche fährt niemand in den Westen", die klare Ansage!
    "Aber dann habe ich kein Geld mehr für Sachen!"

    Ich fügte mich, ich wollte nur weg und kaufte eine weinrote Reisetasche! Mit leerer Tasche und frohem Herzen fuhren wir endlich über die innerdeutsche Grenze und haben es niemals bereut!

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  5. Einsamer@gmx.net2. März 2010 um 11:29

    Auch ich saß in der JVA Karl-Marx-Stadt.
    Habe mir Alles auf diese Seite durchgelesen und muss feststellen das Man das ehemalige Betonwerk mit keine Silbe erfähnt. Gleichseitig erfähnt man auch nicht ein Gebäde in dem Strafgefangene Sicherungen verschiedener Größen hergestellt hat.
    Und was auch nicht erfähnt wird sind die monatlichen Politgespräche die Wir als Strafgefangene über Uns erdulten mußten. Bei diesen Veranstaltungen waren auch heute noch prominente Sportler mit beteiligt.
    Es gibt noch mehr was ich schreiben könnte.
    Aber da man bis jetzt nichts darüber veröffentlicht hat wird dies wohl auch nicht geschehen.
    Übriegens saß ich fast 2 Jahre als politischer Strafgefangener in der JVA Karl-Marx-Stadt.
    Sollte man denoch mehr über diese Zeit wissen wollen so kann man mir dies ja schreiben.

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  6. Wenn sie möchten können sie ihre geschichte gerne als kommentar hinterlegen , wir veröffentlichen sie dann umgehend.

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  7. Ich war im Juli 87 für 2 Wochen "Gast" dieser Einrichtung als Freikaufkandidat. Dabei sind mir insbesondere 2 Anekdoten haften geblieben, die den Zynismus des gesamten Apparates unterstreichen: Ein sehr junger Freikaufkandidat fragte bei der "Zeremonie" des formellen Ausreiseantragstellens eines Stasi-Mann, was er denn bei "Grund der Ausreise schreiben solle - worauf er den knappen Kommentar "Is mir doch scheissegal - schreim´ Se halt, der Kaugummi schmeckt Ihnen drüben besser" an den Kopf geworfen bekam.
    Am letzten Vorabend, einem Dienstag, schloss unerwartet ein Unteroffiziersdienstgrad die Tür auf und begann eine Unterhaltung mit uns 5 Zelleninsassen, die darin gipfelte, uns zu fragen, wie wir uns nun fühlen, morgen schon im Westen zu sein. So weit - so gut, aber dabei wurde seine Stimme brüchig und ihm stiegen die Tränen in die Augen....
    Makaber, oder ?

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  8. wer das erlebt hat, kommt auch 26 jahre später nicht zur ruhe

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  9. August 19 86-Nov.1986 U-Häftling
    April 1987 Abschibehaft/2 Wochen das sind meine Aufenthalte auf den Kaßberg,gestollene Zeit!
    Wen ich dran denk das mir ein Major das Essen gebracht hatt kan ich heute nur noch schmunzeln über die Typen.

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  10. wolfgang kollien7. August 2010 um 09:44

    ich hab im märz 1984 2 wochen dort zugebracht. am schlimmsten war das wir mit 3 starken rauchern in der zelle waren und dabei einen nichtraucher mit drinn hatten, der die freiheit bald nicht mehr erlebt hätte. falls er das liest, ENTSCHULDIGE bitte.

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  11. auch ich saß von 1973-1976 in Karl-Marx-Stadt als politischer Häftling ein.Leider musste ich meine 2 Jahre und 8 Monate voll absitzen.Habe im Betonwerk in 3 Schichten arbeiten müssen.Habe dort viel Schlimmes erlebt, aber auch gute Freunde unter den Politischen gehabt.
    Wer kennt noch den "Rostocker"? Der hat mir bei meiner Entlassung Zeichnungen abgenommen, obwohl ich vom "Erzieher" die Erlaubnis hatte, diese mitzunehmen.

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  12. Ich war in der Zeit von 1977-04.1978 in K.M.Stadt im Gefängnis, wir waren so um die 50.politische Gefangene wurden unten im Keller von den anderen Gefangenen isoliert gehalten.
    Ich kam dann in das sog. Abschiebe Gefängnis aus dem ich am 16.08.1978 mit dem Bus endlich zurück nach hause kam. nach 16.jahren sbz zwangsaufenhalt denn ich wurde als 3.1/2jähriges Kind damals 1962 in die ddr/sbz entführt.

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  13. ich muß ais ehemaliger politischer strafgefangener,der nur eine nummer sin durfte im nachhinein festhalten,daß nur die menschen die diese zeit aktiv hinter diesen mauern verbrachten mußten üerhaut beurteilen können was es wirklich bedeutete im ,,käfig des löwen,, zu sitzen.der zyonismus,die teilweise unlogig,und die im nachhineine verunklärung sin teils weder mit schrift noch mit worten zu kommentieren.

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